Dieses Herrenrad gehörte Hans-Christoph Killus. Mit diesem Rad ist sein Vater, Pfarrer Joachim-Hans Killus, den langen Weg von Bartenstein in Ostpreußen bis in den Schwarzwald geflüchtet! Die unglaubliche Fluchtgeschichte seiner Eltern hat Herr Killus detailliert festgehalten:

Ursprünglich gehörte dieses Fahrrad Pfarrer Joh. Worm von der Landkirche St. Johann in Bartenstein. Im Januar 1945 befanden sich in Bartenstein und Umgebung schon Flüchtlinge aus dem Memelland, die bereits im Oktober 1944 vor der Roten Armee geflüchtet sind. Joachim-Hans Killus war Pfarrer in Laugszargen, ( Kreis Tilsit-Ragnit) und hatte in Bartenstein einen großen Teil seiner Gemeinde wiedergefunden. Er unterstützte Pfarrer Worm bei seiner Arbeit. Wegen der herannahenden Roten Armee musste Pfarrer Killus mit seiner Frau am 28.01.1945 aus Bartenstein im tiefsten Winter fliehen. Pfarrer Worm hatte Bartenstein wegen einer Beerdigung eines Familienmitglieds in Posen schon verlassen.  So  nahmen sie das Masovia Rad des Pfarrers zusätzlich zu ihrem eigenen Rad und einem Kinderschlitten mit auf die Flucht, mit der Absicht das Masovia Rad später wieder Pfarrer Worm zurückzugeben. Durch den hohen Schnee, beide Fahrräder und den Schlitten vollbepackt, zog Pfarrer Killus mit seiner Frau von Bartenstein über das gefrorene Haff bis nach Danzig. Unterwegs gab Pfarrer Killius noch sein eigenes Rad an eine liebe Russin mit Tochter ab, die im Haus von Pfarrer Worm geholfen hatte. Zusätzlich gab man auch einiges Gepäck an ein mit flüchtendes Fuhrwerk, behielt aber das Masovia Rad. Später wurde auch noch der Schlitten an einen Jungen abgegeben. In Danzig ruhte man sich 3 Tage aus, bevor es am 09.02.1945 zu Fuß, bzw per Rad Richtung Pommern weiterging. Manchmal nahm ein LKW mit Soldaten sie mit. Ziel war Stojantin bei Stolp, wohin der Schwiegervater ( ebenfalls Pfarrer im Memelland) mit seiner Familie geflohen war, und dort seine Gemeinde betreute.  Hier konnte man sich einige Zeit ausruhen, ehe die Rote Armee auch dort nahte. Mit dem letzten Lazarettzug ging die Flucht aus Stojantin weiter. Pfarrer Killus band das Masovia Rad außen an den Waggon, mit dem sie fahren sollten, doch es wurde gestohlen! So wurde der Radschlüssel dem Bahnhofsvorsteher übergeben, und der Diebstahl gemeldet.  Der Zug fuhr bis Neubrandenburg, wo die Familie der Frau sich aufhielt. Dort blieb man 3 Wochen, bis ihnen in Neubrandenburg der Bahnhofsvorsteher aus Stojantin auf der Straße entgegenkam, und Ihnen das Masovia Fahrrad zurück gab! Er hatte es an der Post in Stojantin gefunden! Von Neubrandenburg ging es dann mit dem Zug nach Salzwedel in der Altmark.  Dort kam ein Bombenangriff mit Brandbomben, den man mit etwa 200 Leuten unter einer Eisenbahn Unterführung überlebte!  Später, wohl am selben Tag, ging es weiter nach Lagendorf. Dort waren sie drei Monate. Der dortige Pfarrer war krank. So konnte Pfarrer Killus ihn vertreten, ganz ohne Gehalt. Man lebte 2 Jahre von 500 RM, die vor der Flucht noch abgehoben wurden. Der dortige Pfarrer riet ihnen weiter zu fliehen, da wieder die Russen nahten, nachdem die bereits einmarschierten Amerikaner wieder abziehen mussten.

Mit dem Masovia Rad beladen, machten sie sich in der Nacht durch den Wald über die grüne Grenze in den Westen. Auf der anderen Seite nahm ein Bauer sie mit seinem Fuhrwerk bis nach Uelzen. Von dort ging es weiter bis nach Lemgo, wo wieder ein Teil der Familie auf einem Bauernhof war, wo sie einige Monate in der Zwiebelkammer wohnen durften. 

Im Frühsommer 1946 ging es dann in den Schwarzwald bei Freudenstadt, wo viele Pfarrstellen unbesetzt waren, da die Pfarrer z.T. noch in Kriegsgefangenschaft waren. Hier konnte Pfarrer Killus seinen Dienst versehen, wobei das Masovia Rad oft zum Einsatz kam, um die umliegenden Dörfer abzufahren und Hausbesuche zu machen. 

1950 erhielt er eine eigene Pfarrstelle in Ersingen bei Ulm. Dort betreute er mit dem Masovia Rad vier Predigstellen mit 11 Orten. Die Familie wurde größer, und 4 Töchter und ein Sohn wurden geboren. Und so wurde schließlich ein Zündapp Motorrad, und später ein DKW 1000 angeschafft. 

Das Masovia Rad wurde in den frühen 50er Jahren in Ersingen vom Dorfschmied verkehrstüchtig gehalten, und die 28 Zoll Räder wurden gegen 26 Zoll Räder auf Wulstfelgen getauscht, da wohl keine 28 Zoll Räder zu bekommen waren. Die Hinterradnabe gibt als Baujahr 1935 an. Die beiden schwarz-weiss Bilder unten zeigen das Fahrrad noch vor dem Umbau , und sind von 1948 und 1950. Auf den Bildern ist Joachim-Hans Killus mit seinen  ältesten beiden Töchtern zu sehen.

1968 wurde Pfarrer Killus nach Sindringen bei Heilbronn versetzt, und das Fahrrad kam wegen der bergigen Gegend weniger zum Einsatz. In Reinsbronn bei Rothenburg o.d. Tauber geht Pfarrer Killus schließlich mit 67 Jahren in den Vorruhestand, bevor er mit 72 Jahren endgültig in den Ruhestand ging. Das Fahrrad wurde aber weiter benutzt, und in den 1980er Jahren ließ er es wieder den aktuellen Verkehrsregeln anpassen, und versah es mit einem Kettenschutz, neuen Schutzblechen mit neuer Rückleuchte, sowie Sattel und Reflektoren.  Die 26 Zoll Räder auf Wulstfelgen wurden aber belassen.  Bis Ende 1994 war es in Benutzung, bevor Anfang 1995 Pfarrer Killus endgültig heimging. 

Das Masovia Rad wurde von seinem Kindern gehütet und vor der Witterung geschützt in Ehren gehalten. 

Damit das Masovia Rad auch in Zukunft einen dauerhaften Platz hat, und als Zeuge von einer heute unvorstellbaren Zeit berichten kann, hat Herr Killus das Fahrrad seines Vaters dem ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg als Schenkung überlassen.  Das Museum will das Fahrrad als authentisches Fluchtfahrzeug ausstellen. 

 

Ich bedanke mich sehr herzlich bei Herrn Killus für die detaillierte Schilderung der Flucht seiner Eltern, und für die Erlaubnis diese hier wiederzugeben! Es ist äußerst selten, dass ein Fahrrad so lange in Ehren gehalten wird, und auch die dazugehörige Geschichte so detailliert festgehalten wurde. Das Ostpreußische Landesmuseum ist genau der richtige Ort um das Rad und seine Geschichte, bzw die Geschichte seiner Besitzer zu erzählen und eine Mahnung an die heutige und zukünftige Generationen zu sein. Ebenfalls zu sehen ist unten der von Pfarrer Killus aufzeichnete Fluchtweg von Bartenstein bis Neubrandenburg. 

Kontakt

A.Krinke

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letzte Aktualisierung: 29.01.2024