CHRONIK 1895 - 1955

Chronik der Firma Todtenhöfer A.G. 1901 - 1955

von Andreas Krinke

 

Mit dieser Chronik über Franz Todtenhöfer und sein Lebenswerk, so wie zum Radsport in Königsberg, möchte ich etwas Licht in die fast vergessene Geschichte eines Königsberger Pioniers, Rennfahrers und Geschäftsmann bringen, um ihn so vor der völligen Vergessenheit für die Nachwelt zu retten. Auslöser meiner „Neugier“ war ein altes, klappriges Fahrrad, welches mir vor einiger Zeit über den Weg lief. Dieses Fahrrad trug noch das originale Steuerkopfschild, auf welchem mit einiger Mühe der Markenname „MASOVIA“ und „Todtenhöfer / Königsberg“ zu entziffern war. Mit dieser Erkenntnis begann eine tiefgründige Recherche:

Das MASOVIA-Fahrrad bekam ich in einem bemitleidenswerten Zustand. Es wurde wohl mal in den 1960er Jahren komplett überarbeitet und in den 1990er Jahren mit einer Flecktarnlackierung versehen. Immerhin waren Rahmen, Gabel und vermutlich Kettenblatt und Tretlager, sowie Pedalen noch original. Die Tarnfarbe habe ich von der Firma Blitzrad entfernen lassen und den darunter vorkommenden originalen Lack mit Fragmenten der Linierung konservieren lassen. Das Fahrrad wurde dann mit original MASOVIA-Teilen (Sattel, Dynamo und Lampe), einer Todtenhöfer-Klingel und Laufrädern eines MASOVIA-Damenrades von 1943 ergänzt.

 

Sollte dieses Fahrrad tatsächlich in den Nachkriegswirren den weiten Weg von Königsberg (in Ostpreußen, heute Kaliningrad in Russland) bis nach Niedersachsen gefunden haben? Mein Interesse war geweckt und mit der Restaurierung des Fahrrads versuchte ich gleichzeitig die Geschichte der Firma zu erforschen, die dieses Fahrrad wohl in den 1930er Jahren mal hergestellt und verkauft hatte.  

Das Geschäft in der Junkerstrasse.
Das Geschäft in der Junkerstrasse.

Vom Radsport zum Fahrradgeschäft - Todtenhöfer & Co. 1901 - 1914

Alles begann mit Franz Todtenhöfer. Er wurde am 13. August 1875 in Königsberg geboren1, und war wohl schon als junger Mann begeistert von den damals neuen Fortbewegungsmitteln, dem Fahrrad und später dem Automobil. Jedenfalls errang er schon als Schüler auf dem Hochrad erste sportliche Erfolge. Im Jahre 1893 wurde er im Alter von 18 Jahren bereits ostpreußischer Meister.2 In welcher Raddisziplin genau, ist allerdings nicht mehr bekannt. Der Radsport muss schon ziemlich früh in Königsberg Verbreitung gefunden haben. So hatte der 1884 gegründete Deutsche Radfahrer Bund (Vorläufer des BDR) seinen Geschäftssitz in Königsberg. Gleichzeitig stammte der von 1894-1896 amtierende Bundesvorsitzende Rudolf Vogel aus Königsberg.3

Bereits 1899 wird Franz Todtenhöfer als „1.Fahrwart“ des 1886 gegründeten Radfahrer Clubs Königsberg geführt, einem von damals 16 Radfahrer-Vereinen in Königsberg. Franz Todtenhöfer nimmt weiterhin wohl regelmäßig an Radrennen in Ostpreußen teil.

So erreicht er z.B. 1898 und 1899 bei Radwettfahrten in Königsberg jeweils den 2 und  3.Platz bei den Preisfahrten, laut der Berichterstattung in der Thorner Presse. 

Im Jahre 1901, also noch im jungen Alter von erst 26 Jahren, eröffnet Franz Todtenhöfer ein Geschäft in der Junkerstrasse 16 in Königsberg zusammen mit seinem Schwager Max Rautensperger. Laut dem Warenzeichenblatt von 1902 erfolgt die Anmeldung der Firma " „Franz Todtenhöfer & Co.“   am 31.07.1901,  und die Eintragung schließlich am am 20.02.1902. Als Geschäftsbetrieb wird zunächst die "Herstellung und Vertrieb von Nähmaschinen und Nähmaschinentheilen" genannt. In der Familie wurde überliefert, dass der Vater von Franz seinen 3 Kindern jeweils 10.000 RM hinterließ, was womöglich als Grundstock der Firmengründung diente. 

1901 wird „Todtenhöfer & Co.“ erstmals in den Königsberger Adressbüchern geführt.  Die Firma vertreibt die Nähmaschinen und Fahrräder eines der ersten deutschen Fahrradhersteller, der Bielefelder Dürkopp-Werke.

Wie so viele andere Fahrradhersteller hatten die Dürkopp-Werke neben der Fahrradproduktion auch eine Nähmaschinenproduktion. Nähmaschinen wurden von Franz Todtenhöfer noch bis mindestens 1925 vertrieben, da in diesem Jahre sogar eine Patentanmeldung für einen "Nähmaschinenlampenhalter" erfolgte.41

 

Neben den Dürkopp Fahrrädern wurden aber auch schon sehr früh Fahrräder unter eigenem Markennamen vertrieben, wie ein sehr frühes "Polo" Steuerkopfschild beweist: 

Der Automobil Handel kommt dazu

Seit 1902 wird die Firma Todtenhöfer & Co. auch als Automobilhändler geführt. Dabei werden u.a. die Marken Fiat, Mercedes und Opel vertrieben.5 Im Laufe der Zeit wird die Firma dann zur Opel-Generalvertretung für West- und Ostpreußen, Danzig und dem gesamten Baltikum.6

Weiterhin war Franz Todtenhöfer auch im Radsport aktiv. Im Jahre 1906 wird er bereits als 2.Vorsitzender im Radfahrer Club Königsberg geführt7 und nimmt regelmäßig an Radrennen teil. Auf der im Jahre 1903 abgehaltenen „Allgemeinen Ausstellung von Verkehrsmitteln jeder Art“ in Königsberg stellt er neben Fahrrädern auch bereits Motorräder aus Neckarsulm (Vorläufer von NSU) und Belgien (Saroléa) aus. Auch lässt er es sich nicht nehmen, bei einem Steher-Rennen auf dieser Ausstellung mit einem NSU Motorrad als „Schrittmacher“ mitzufahren.8

Im Jahre 1904 wird er in Kolberg zum 2. Vorsitzenden des ADAC-Vorläufers DMV (Deutsche Motorradfahrer Vereinigung) für den Gau VIII (Pommern, West- und Ostpreußen) gewählt. Mitglied des DMV ist er schon seit dem Gründungsjahr 1903, der sich schließlich 1911 in ADAC umbenennt.9 Er gehört damit zu den Mitbegründern des ADAC. Nachweislich nimmt er nun auch an den ersten Motorradrennen u.a. auf NSU-Motorrädern teil. Schließlich wird er 1914 auch noch als Vizepräsident des 1905 gegründeten „Ostdeutschen Automobil Clubs“ mit Sitz in Königsberg geführt.10

Im Jahre 1906 expandiert die Firma „Franz Todtenhöfer & Co.“ bereits, und es wird eine neue Zentrale am Steindamm 143 errichtet.11 Wenig später kommt auch noch die Hausnummer 142 dazu. Der Steindamm war die Hauptgeschäftsstraße in Königsberg. In zahlreichen Anzeigen, u.a. in der ADAC Motorwelt, wird die Firma nun als Vertretung für belgische Saroléa Motorräder oder Speedoil (Kraftstoffzusatz) usw. geführt. 1914 gründet Franz Todtenhöfer die Sektion Ost- und Westpreußen des deutschen Automobil Händler Verbandes e.V.12   

Bereits 1913 liefert Todtenhöfer & Co einem Zeitungsbericht der Königsberger Hartungschen Zeitung zufolge 15 Automobildroschken der Marke Opel an die Stadt Königsberg aus. Später sollte sich dafür der Begriff "Taxi" einbürgern. (Ausgabe vom 06.04.1913)

Franz' Bruder, Walter Todtenhöfer arbeitet ebenfalls im Betrieb als KFZ Ingenieur und nimmt 1913 mit einem Opel Wagen an der "ostdeutschen Automobiltourenfahrt" (Königsberg - Thorn - Zoppot) teil. Eine Strecke die den damaligen Fahrzeugen einiges abverlangt und zu einigen Ausfällen führt ( Die Presse, Thorn, vom 10.07.1913)

Am 1. Weltkrieg scheint Franz Todtenhöfer nicht teilzunehmen, es gibt jedoch einen Bericht eines gewissen Ludwig Goldstein in dem Buch „Das feldgraue Buch vom Krieg 1914“ (herausgegeben von der Königsberger Hartungschen Zeitung). In diesem Bericht wird über einen dreißigstündigen „Ausflug“ von Goldstein und Franz Todtenhöfer mit dem Automobil von Königsberg aus zu den Schlachtfeldern Ostpreußens berichtet, kurz nachdem die russischen Truppen aus Ostpreußen vertrieben wurden.

50 Pfennig Notgeld Münze
50 Pfennig Notgeld Münze

Die Expansion 1915 - 1927

 

1915 wird Franz Todtenhöfer dann als alleiniger Inhaber geführt und die bisher bestehende „Franz Todtenhöfer & Co“ aufgelöst13, auch wenn man zunächst weiter unter diesem Namen firmiert. Zusätzlich werden die Grundstücke Strohmarkt Nr. 11 und Nikolaistraße Nr. 16 zur Vergrößerung des Betriebes in Königsberg aufgekauft.14 In der Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg wird bei Todtenhöfer auch Notgeld in Form von Notmünzen herausgegeben, die zum firmeninternen Gebrauch bestimmt waren. Die abgebildete 50 Pfg. Münze, zeugt davon. Geprägt wurden diese Münzen bei der Prägeanstalt Lauer in Nürnberg.  Auch sogenanntes „Briefmarkennotgeld“ von „Todtenhöfer & Co.“ ist bekannt. 

Im Jahre 1921 gründet Franz Todtenhöfer zusammen mit einem gewissen Bernhard Fischer die „Automobil- und Landpflug - G.m.b.H.“. Eingetragenes Gewerbe ist der „Handel mit Kraftwagen, Kraftpflügen, Ersatzteilen und verwandten Waren“, das Stammkapital wird mit 200 000 RM angegeben.15 Ebenfalls 1921 erfolgt dann die Gründung von „ Todtenhöfers Vereinigte Automobil Werkstätten“, welche die „Herstellung und Ausbesserung Kraftwagen, Krafträdern und Motorpflügen“ als Gegenstand haben. 16  Es werden u.a. Karosserien für Lastkraftwagen gebaut. Ein Artikel aus der Fischerei-Zeitung von 1929 beschreibt einen Lastkraftwagen der Fischereigenossenschaft in Allenstein, der drei Wasserbecken zur Fischzucht tragen kann, und dessen Karosserie von Todtenhöfer in Königsberg stammt. Dieser LKW verrichtete seinen Dienst schon „seit ewigen Zeiten“ in Masuren! 17  

 Ebenfalls 1921 wird auch eine " große Vulkanisieranstalt" von Todtenhöfer in Königsberg eröffnet 42. Es wurden auch immer wieder "Vulkanisateure " per Inserat in einschlägigen Zeitschriften gesucht.43, 44

In den nun folgenden Jahren expandiert Todtenhöfer auch über Königsberg hinaus. Aus dem Jahre 1924 ist eine Anzeige im Deutschen Kalender für Litauen mit einer Niederlassung in Kowno (Kaunas), der damaligen litauischen Hauptstadt bekannt. Diese existiert wahrscheinlich schon seit 1909. In diesem Jahr reiste er nach Litauen, um über sein Geschäft mit Automobilen zu sprechen, laut einem Artikel der Zeitschrift "Šaltinis" von 1909. [40] Und im Allensteiner Adressbuch von 1927 wird auf der Bahnhofstraße 79E eine Autowerkstatt von Todtenhöfer & Co. geführt.

Im jahre 1925 wird in Königsberg ein Todtenhöfer Preis für Leistungen im damals beliebten Segelflug vergeben. (Flugsport Nr. 11,1925).

  

Bei den Nähmaschinen werden eigene Marken eingeführt, und zwar „Todtenhöfer’s Ideal“, und „Titan“. Denn Todtenhöfer & Co wird nun auch als Hersteller für Nähmaschinen gelistet.18 Und auch als Hersteller für (Taschenlampen & Radio) Batterien wird die Firma nun aufgeführt. Dabei wird es sich bei den Nähmaschinen und den Batterien wahrscheinlich um Lizenzen handeln, bei der diese Produkte von anderen Herstellern bezogen wurden und unter eigenem Namen weiterverkauft wurden. Hersteller der Batterien war nämlich eine Firma „Terad“.19 Weiterhin gehörten auch Schreibmaschinen der Marke „ORGA PRIVAT“ zum Sortiment. Schon seit den Anfangstagen wurden auch „Original Smith Premier“ Schreibmaschinen vertrieben.

Gründung der Todtenhöfer AG in Berlin

1927 schließlich wird die Todtenhöfer Aktien-Gesellschaft (A.G.) mit einem Stammkapital von 1 Million RM gegründet. Sitz der A.G. ist nunmehr in Berlin. Der volle Wortlaut des Eintrags lautete: „Gegenstand des Unternehmens ist der Erwerb und der Fortbetrieb der Kraftfahrzeug- und verwandten Branchen, insbesondere der Fabriken von Franz Todtenhöfer. Zum Vorstand wurde R. Mertens in Berlin bestellt. Der Aufsichtsrat besteht aus K. Merz, F. Todtenhöfer und W. Todtenhöfer in Königsberg.“ 20

Ein Büro oder Niederlassung gab es schon seit 1921 in Berlin, und zwar in der Offenbacher Straße 5 im Ortsteil Friedenau. [40]. Geschäftsführer dieser Franz Todtenhöfer Haus Berlin G.m.b.H. ist er selbst zusammen mit einem gewissen R. Mertens.  1925 wird auch ein Wohnsitz für Franz Todtenhöfer in Berlin-Dahlem aufgeführt. Noch 1938 wird die Niederlassung in Friedenau geführt.

Spätestens aber 1929 ist der Hauptsitz in Berlin . Zunächst ( 1930) wurde als Adresse die Offenbacher Str. 4 in Friedenau angegeben, 3 Jahre später dann die Zimmerstraße 68 im Bezirk Kreuzberg ( SW68) . 1935 schließlich die Potsdamer Str. 12 in Zehlendorf. Auch in Berlin werden daher seit min. 1923  Autoteile und Zubehör von Todtenhöfer vertrieben.                                       Haupthaus Steindamm 142 im Jahre 1935, Foto: Thomas Jaekel

 Inwieweit auch Fahrräder in Berlin verkauft werden, ist leider nicht mehr bekannt. 

Zu dieser Zeit taucht auch erstmals das typische Logo, ein T mit einem stilisierten Rad auf. Auch als Schutzblechemblem wird das Symbol später verwendet.                                         

In Königsberg selbst wird Ende der 1920er Jahre eine der ersten Hochgaragen Deutschlands von der Todtenhöfer AG erbaut. Diese Garage befand sich auf dem Heumarkt in Königsberg und erstreckte sich über 3 Etagen und bot Platz für 350 Kraftwagen. 21     Unter einer Garage verstand man damals eine Autowerkstatt. DIe Architektur war für damalige Zeit wegweisend und fand sogar im"Handbuch der Architektur, Band 4, Teil 2 Hallengaragen" von 1931 nähere Erwähnung:

In einem Bericht der Zeitschrift RADMARKT wird der Absatz von 12 000 Fahrrädern und 1 000 Kraftwagen für das Jahr 1927 bei der Todtenhöfer A.G. angegeben.22 Franz Todtenhöfer sitzt auch in diesen Jahren noch selbst hinter dem Steuer von Sportwagen und nimmt regelmäßig an Autorennen teil. So nimmt er 1927 am Cadiner Bergrennen teil. Dieses Bergrennen soll vom ADAC zum „Nürburgring des Ostens“ aufgebaut werden. In der Wertungsklasse 1 der Sportwagen belegt er bei der Bergprüfung, der schnellsten Zeit und schließlich auch in der Gesamtwertung den 1.Platz auf einem Minerva Sportwagen! Die gesamte Rennstrecke belief sich über 177.6 km und führte über die Elbinger Höhen von Cadinen über Lenzen, Pangritz, Damerau, Trunz, Neukirch-Höhe nach Tolkemit und wieder zurück nach Cadinen. 23

 Im Jahre 1930 wird eine Großgarage der Todtenhöfer A.G. am Heumarkt in Königsberg als Startpunkt der alljährlichen ADAC-Ostpreussenfahrt, einer Art Rallye quer durch Ostpreußen, genannt. 2

                                                                                                                                                          rechts: Franz Todtenhöfer, ca. 1929

verschiedene Masovia Steuerkopfschilder
verschiedene Masovia Steuerkopfschilder

MASOVIA  – Aufnahme der Fahrradproduktion 1929

 

Die Fahrradproduktion unter dem Markennamen „MASOVIA“ wird im Jahre 1929 aufgenommen.25  Bereits 1921 erfolgte der Eintrag ins Warenzeichenblatt der Marke für die Franz Todtenhöfer G.m.b.H.  Der Geschäftsbetrieb unter der Marke „MASOVIA“ liest sich wie folgt: „Herstellung und Vertrieb von Fahrrädern, Fahrradteilen und -zubehör. Waren: Fahrradketten, Fahrradpedale, Fahrraddecken, Fahrradschläuche, Fahrradsättel, Fahrradrahmen, Fahrrad-Beleuchtungsapparate und -Geräte, Gummilösung, Taschenlampenbatterien.“ 26 „MASOVIA“ war dabei der lateinische Name für Masuren, die bekannte Landschaft im Süden Ostpreußens gelegen. "Masovia" nannte sich aber auch eine seit 1830 (bis heute) existierende Studentenverbindung an der Königsberger Universität, die ein Zusammenschluss von Studenten aus Masuren bildete. Eventuell war auch Franz Todtenhöfer Mitglied der Verbindung. Weitere Markennamen der Todtenhöfer A.G. für Fahrräder und -zubehör waren „BALTIA“ und „POLO“.27 Letztere Marke wurde 1934 angemeldet, der Markenname „Baltia“ wurde auch von einem frühen Königsberger Fahrradproduzenten, der Fa. Althoff & Politt, verwendet.28 Eventuell wurde der Name von Todtenhöfer übernommen. Auch "Baltia" war eine studentische Verbindung an der Königsberger Universität.

Alle Marken der Todtenhöfer AG auf einer Rechnung von 1941
Alle Marken der Todtenhöfer AG auf einer Rechnung von 1941

Es  wurden also nicht nur Fahrräder unter dem Namen MASOVIA vertrieben, sondern auch Zubehör. Mir sind z.B. elektrische Fahrradlampen, Dynamos, Sättel, Kettenschützer, Klingeln und Gepäckträger bekannt, die allesamt mit dem Namen „MASOVIA“ gemarkt sind. Dabei ist der Name nicht nur einfach aufgedruckt, sondern geprägt. Da das Zubehör wahrscheinlich nicht selber produziert wurde, wurde es wahrscheinlich bei den jeweiligen Produzenten (Melas, Pallas, usw) in Auftrag gegeben, und schon dort mit dem Namen versehen. 

Bei meiner Suche nach Zeitzeugen aus Königsberg bin ich auf Herrn Heinz Bleeck, jetzt ansässig in Rostock, gestoßen. Er konnte mir mit sehr vielen Informationen zu Todtenhöfer, aber auch zur “Radfahrer-Szene“ in Königsberg weiterhelfen.  Wie sich herausstellte, war sein Vater Emil zunächst Kraftfahrer für die Todtenhöfer A.G., und dann jahrelang in der „Expedition“ bei der Todtenhöfer A.G. beschäftigt. Was sich heute abenteuerlich anhört, war damals aber nicht ganz so abenteuerlich. Denn heute würde man eher Versandabteilung dazu sagen!  Emil Bleeck war jedenfalls begeisterter und erfolgreicher Radrennfahrer in Königsberg (zuerst auf Opel ZR 3, später auf Elite Diamant) und sehr gut mit dem besten Königsberger Radrennfahrer der damaligen Zeit, Paul Altenberg befreundet. Eben jener Paul Altenberg war hauptberuflich Prokurist bei Todtenhöfer. In den 1920/30er Jahren war er unbestrittener Bahnsprintmeister in Ostpreußen und Gewinner etlicher Preise u.a. auch bei internationalen Rennen in Warschau, Lodz und Riga! 1938 wurde er auch Verbandspräsident des BDR in Ostpreußen und organisierte etliche Straßenrennen wie die „Samland-Rundfahrt“ und die „Ermland-Rundfahrt“. Gleichzeitig nahm er erfolgreich an diesen Rennen teil. Viele Radrennfahrer aus dem R.C.K. (Radfahrer-Club Königsberg) waren bei Todtenhöfer beschäftigt. Franz Todtenhöfer selbst war ja dort seit 1899 1. Fahrwart, und schon 1906 2.Vorsitzender. Das Vereinslokal war Wiehrs Restaurant in der Cranzer Allee. Dieses war Start und Zielpunkt vieler Ausflüge und Rennen. Heinz Bleeck selbst war als Heranwachsender mal für einen Tag im Lager der Todtenhöfer AG beschäftigt, und musste die Einzelteile der Fahrräder in die Montage bringen. 

Dabei wurden die einzelnen Rohre und Muffen, sowie das Zubehör (Lampen, Laufräder, usw.) von externen Firmen zugeliefert. In Königsberg wurden dann die Muffen und Rohre zu Rahmen verlötet, lackiert und die Fahrräder komplettiert. Wer der Zulieferer für Rohre und Muffen waren ist nicht bekannt. Jedoch haben alle mir bis jetzt bekannten Masovia Räder den gleichen typischen Steuerkopf. Dieser gleicht z.B. auffallend dem Steuerkopf von Rädern der Bielefelder Firmen Falter und Rixe für den Zeitraum 1930 - 1945. Auch die Nürnberger Firma Victoria hatte noch in den 1950er Jahren die gleichen Muffen verwendet.  Jedenfalls lag diese Fahrradfabrikation in den Fabrikaktionsanlagen in der Nikolaistraße 15, laut dem Briefkopf einer Fahrrad-Rechnung aus dem Jahre 1941, und auch nach Auskunft von Heinz Bleeck. Es sollen in Spitzenzeiten bis zu 3 000 Fahrräder monatlich produziert worden sein. 29

Werkstatt in der Stresemannstrasse
Werkstatt in der Stresemannstrasse

Ein weiterer Standort in Königsberg war die Stresemannstraße 87, dort gab es eine Autowerkstatt von „Todtenhöfers Vereinigten Werkstätten“. Die Straße wurde übrigens mehrmals umbenannt. Ursprünglich war es die Fuchsberger Allee, in der Weimarer Republik wurde daraus die Stresemannstraße, und im Dritten Reich wurde sie in „General-Litzmann-Straße“ umbenannt. Heute ist es der „Sovetskiy Prospekt“. Das Gebäude existierte übrigens bis zum Jahre 2015, dann musste es einem Neubau weichen. 

Das gleiche Gebäude auf dem Sovetskiy Prospekt (bis 2015)
Das gleiche Gebäude auf dem Sovetskiy Prospekt (bis 2015)

Am Friedländer Torplatz 4a befand sich noch eine weitere Großgarage. Diese wurde ca. 1936 vom Konkurrenten Paul Gillis übernommen. Paul Gillis erbaute diese Großgarage bereits 1926. 30 Sein Unternehmen handelte ebenfalls mit Fahrrädern und Automobilen (Horch). Warum Todtenhöfer diese Großgarage übernehmen konnte ist unbekannt. Bei meinen Nachforschungen stieß ich auf einen im KZ Buchenwald 1938 ermordeten Paul Gillis aus Königsberg, wohnhaft in Berlin.31 Ob es sich um jenen Paul Gillis handelte, und ob er sein Geschäft aufgrund seiner jüdischen Abstammung aufgeben musste, oder an Todtenhöfer verkauft hatte, liegt leider im Dunkeln der Geschichte und muss Spekulation bleiben. Ein weiterer Automobil-Händler in Königsberg war die Firma Gebr. Lowitz, dessen Gründer ursprünglich bei Todtenhöfer gelernt hatte. 

Franz Todtenhöfer soll auch den ersten Rolls-Royce in Ostpreußen besessen haben, jedoch ließ er es sich als Automobilbegeisterter nicht nehmen, den Wagen selbst zu fahren, ohne einen Chaffeur.

Werbepostkarte von 1933
Werbepostkarte von 1933

Todtenhöfer war auch einer der ersten Händler der Festpreise bei Autoreparaturen einführte. Es kamen sogar Ingenieure von Ford aus den USA, um diese Praxis zu studieren! 32 Als Automarken wurden Opel (Generalvertretung), Fiat, und Mercedes geführt. Bei den LKWs hatte man MAN und Saurer im Sortiment. Bei den Motorrädern wurden NSU, Wanderer und DKW geführt. Es ist auch ein Victoria Motorrad bekannt, auf dessen Soziussattel ein Händlerschild der Todtenhöfer A.G. prangt. Entweder wurden auch Victoria Motorräder vertrieben, oder aber mindestens der Sattel stammt als Zubehör von Todtenhöfer.

Ebenfalls im Sortiment waren Fahrräder mit Hilfsmotoren. Diese wurden mit dem wohlklingenden Werbespruch „Oh wie wohl klingts mir im Ohr - ToHiMor, ToHiMor, - Todtenhöfers Hilfsmotor“ in den Königsberger Kinos beworben! Dieser konnte ebenfalls für Segelflugzeuge eingesetzt werden! 

Foto Fahrradmuseum in Väätsa
Foto Fahrradmuseum in Väätsa

Auch nach Estland wurden Masovia-Räder exportiert. Aus den 30er Jahren sind Anzeigen des estnischen Händlers Kr. Saar & Ko in Reval (Tallinn) bekannt, der u.a. Masovia-Räder im Sortiment hatte.

In Estland haben sich deshalb einige MASOVIA Räder erhalten. So hat sich bis heute ein fast fabrikneues Masovia Damenrad Im estnischen Fahrradmuseum in Väästa erhalten.  ( http://www.velomuseum.ee/en/masovia_1940_ENG ) Aber auch weitere MASOVIA Fahrräder sind aus dem Baltikum bekannt.  

Anzeige aus Estland
Anzeige aus Estland

Inwieweit auch am Berliner Standort Fahrräder produziert wurden, ist leider noch unbekannt. Zumindest ist aus der „Fahrrad- und Kraftfahrzeug Zeitschrift“ (FKZ) vom 10. Oktober 1942 folgende Anzeige bekannt: Gesucht:  für Rahmen- und Felgenfabrikation, Öfen bzw. Löt- und Schweißgeräte, Emaillieranlagen, Rohrbiegemaschinen, Wulstfelgenpresse, Richtplatte. u. Werkzeuge. Todtenhöfer Akt. - Ges., Berlin W 9, Potsdamer Str. 12.  

Ebenfalls 1942 wird die Todtenhöfer A.G. mit der Hauptgeschäftsstelle in Berlin als Hersteller von Fahrradanhängern im RADMARKT Nr.2669/72 erwähnt.  

Die Fahrräder wurden offenbar nicht nur die Niederlassungen der Todtenhöfer A.G. vertrieben, sondern auch über weitere Partner. So vertreibt auch der Königsberger Fahrrad Großhandel Karl Vogeley neben Spezialrädern aus Falter, Opel und Bastert Rahmen auch MASOVIA Räder.  

Auch für die Erschließung Ostpreußens als „Fahrradland“ tat Franz Todtenhöfer einiges. Bereits 1921 gründete er den „Verein für Fahrradwege“, dem die Anlage einiger besonders schöner Radfahrwege in und um Königsberg, aber auch im Samland zu verdanken war.33 Aus dem Jahre 1938 existiert eine Spezialkarte des Samlandes aus dem Pharus Verlag, welche von der Todtenhöfer A.-G. herausgegeben wurde. Auf dieser Karte sind besonders auch die Wald- und Fahrwege verzeichnet. 

Einmal im Jahr lud Franz Todtenhöfer seine komplette Belegschaft zu einem Ausflug mit dem Fahrrad und per Schiff von Königsberg bis nach Groß-Heydekrug am Königsberger Haff ein. Er ließ es sich dabei nicht nehmen, der Belegschaft auf einem alten Hochrad durch Königsberg voran zu fahren, wie mir Heinz Bleeck berichtet hat. Auch wurden Eisfahrten im Februar auf dem zugefrorenen Frischen Haff unternommen, oder Bobfahrten am Galtgarben im Samland. Oder man organisierte „Fuchsjagden“, das war eine Art Schnitzeljagd zu Fuß im Wald. Ziel war immer ein Lokal oder Krug, wo die Familien der Mitarbeiter schon per Zug oder Schiff angereist waren. Dort ging es dann „heiß“ her, und die Rückfahrt musste dann gemeinsam mit Schiff oder Bahn angetreten werden, da an Radfahren nicht mehr zu denken war.

Radrennen wurden in Königsberg viele veranstaltet. Beliebt war die Sportanlage „Walter-Simon-Platz“, die nach seinem Erbauer, einem jüdischen Bankier benannt wurde, 1933 aber nach dem Gauleiter Ostpreußens in „Erich-Koch-Platz“ umbenannt wurde. Hier fanden etliche Aschenbahnrennen statt. Heute befindet sich hier das Baltika Stadion als Austragungsort der WM 2018.

Im Königsberger Tiergarten gab es noch eine Zementbahn, die aber nicht so beliebt war, da Stürze hier schon sehr gefährlich sein konnten.  Am „Haus der Technik“ gab es noch eine Holzbahn, sowie eine weitere Aschenrennbahn am Sportplatz beim Friedländer Tor.

Im Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften von 1943 werden für die Todtenhöfer A.G. im Jahre 1942 als Mitarbeiter 76 Angestellte und 119 Arbeiter genannt. Im gleichen Jahre wies die Bilanz ein Saldo von 2 624 346,84 RM aus, was auf ein sehr erfolgreiches Geschäft schließen lässt. Als Vorstand fungierte ein Herr Max Koller ( seit 1938, er löste Rudolf Mertens ab) , der Aufsichtsrat bestand aus Franz Todtenhöfer (Vorsitzer), Charlotte Todtenhöfer (geb. Koller) (stellv. Vorsitzer) und Walter Todtenhöfer (Dresden). Charlotte Todtenhöfer (geb. Koller) war Franz Todtenhöfers dritte Ehefrau und Walter war der 8 Jahre jüngere Bruder von Franz Todtenhöfer. Er war Oberst bei der Wehrmacht und starb 1945 in russischer Kriegsgefangenschaft.

Ebenfalls im Jahre 1942 gab es anscheinend eine Fabrikationsumstellung bei den Fahrrädern. Eine Anzeige in der „Farben-Zeitung“ von 1942 lautet: „Wegen Fabrikalienumstellung haben wir folgende Einbrennlacke (un. 330°C) abzugeben: ca. 300 kg Grundemaille bordeauxrot, ca. 220 kg Überzugsemaille bordeauxrot, ca. 240 kg Überzugsemaille graugrün, Angebote an Fahrradfabrik Todtenhöfer, Königsberg (Pr.)“

 

Aus den Erzählungen alter Königsberger wurde mir ebenso von dem Schaufenster des Haupthauses auf dem Steindamm 142 erzählt. Hier drückten sich die Kinder und Jugendlichen die Nase platt, um die neuesten und schönsten Fahrräder zu sehen. So wird auch davon berichtet, dass bereits in den Kriegsjahren im Schaufenster ein Rad mit „Masovia – Das Fahrrad der Zukunft“ präsentiert wurde, nämlich ein Fahrrad, welches über einen Leichtmetallrahmen verfügte. Lieferbar war es allerdings erst nach dem Kriege, wie dort angekündigt wurde.

Sonntags vormittags gingen die Radbegeisterten zum Radball oder Kunstradfahren in die Turnhalle des neuen Schauspielhauses an der Hufenallee. Dort gab es dann „Dramatisches Theater!“ Heinz Bleeck berichtet auch von einem Rüttelbock im Schaufenster, der ein schwer belastetes Masovia-Rad 24 Stunden rund um die Uhr „durchrüttelte“, um die besondere Stabilität und Lebensdauer eines solchen Rades zu demonstrieren! Dabei hieß es, dass eine Woche auf dem Rüttelbock ungefähr einem Jahr täglichen Gebrauchs entsprach! 

 

Eine weitere Anekdote zu der Großgarage am Heumarkt, beschreibt ein Leserbrief aus der Nr.51 des Ostpreussenblatts 1959:

"Manchem ehemaligen Königsberger Autofahrer wird vielleicht noch der alte Supplieth aus der Großgarage Heumarkt der Firma Franz Todtenhöfer in Erinnerung sein, der Nacht für Nacht die Großgarage bewachte, den späten Kunden das Tor öffnete und sie in ihre Plätze einwies. Er stammte aus Pobethen [.....] Er wollte noch nicht zum alten Eisen gehören und fühlte sich als pensionierter Finanzbeamter noch rüstig genug, die Nachtwache in der Heumarktgarage zu übernehmen. Dabei pfiff er sich eins oder spielte auf seiner Flöte, immer gut gelaunt und zu einem späten Schwätzchen aufgelegt. Nach beendeter Nachtwache ging er nicht etwa gleich nach Hause zum Schlafen, i wo, er machte dann erst mal einen ausgiebigen Morgenspaziergang, um sich die Lungen vollzuschöpfen, wie er erzählte."

 

Eine besondere Anekdote beschreibt auch das immer größere Einmischen der Nationalsozialisten in alle Bereiche des Lebens, so auch in den Radsport. Bei einem Rennen des R.C.K. wurde als 1. Preis ein Rennrad ausgeschrieben. Die Partei insistierte aber, das Rad zu demontieren, und die Einzelteile als Preise auszuschreiben, damit mehr „Volksgenossen“ daran teilhaben könnten. Emil Bleeck widersetzte sich dem, in dem er sagte, dass sich niemand den A…. aufreiße für zwei Reifen oder eine Gabel, für ein Rennrad aber schon. Er setzte sich durch und schuf sich dadurch etliche Feinde. 

Sonntags vormittags gingen die Radbegeisterten zum Radball oder Kunstradfahren in die Turnhalle des neuen Schauspielhauses an der Hufenallee. Dort gab es dann „Dramatisches Theater!“ Heinz Bleeck berichtet auch von einem Rüttelbock im Schaufenster, der ein schwer belastetes Masovia-Rad 24 Stunden rund um die Uhr „durchrüttelte“, um die besondere Stabilität und Lebensdauer eines solchen Rades zu demonstrieren! Dabei hieß es, dass eine Woche auf dem Rüttelbock ungefähr einem Jahr täglichen Gebrauchs entsprach! 

 

Eine weitere Anekdote zu der Großgarage am Heumarkt, beschreibt ein Leserbrief aus der Nr.51 des Ostpreussenblatts 1959:

"Manchem ehemaligen Königsberger Autofahrer wird vielleicht noch der alte Supplieth aus der Großgarage Heumarkt der Firma Franz Todtenhöfer in Erinnerung sein, der Nacht für Nacht die Großgarage bewachte, den späten Kunden das Tor öffnete und sie in ihre Plätze einwies. Er stammte aus Pobethen [.....] Er wollte noch nicht zum alten Eisen gehören und fühlte sich als pensionierter Finanzbeamter noch rüstig genug, die Nachtwache in der Heumarktgarage zu übernehmen. Dabei pfiff er sich eins oder spielte auf seiner Flöte, immer gut gelaunt und zu einem späten Schwätzchen aufgelegt. Nach beendeter Nachtwache ging er nicht etwa gleich nach Hause zum Schlafen, i wo, er machte dann erst mal einen ausgiebigen Morgenspaziergang, um sich die Lungen vollzuschöpfen, wie er erzählte."

 

Eine besondere Anekdote beschreibt auch das immer größere Einmischen der Nationalsozialisten in alle Bereiche des Lebens, so auch in den Radsport. Bei einem Rennen des R.C.K. wurde als 1. Preis ein Rennrad ausgeschrieben. Die Partei insistierte aber, das Rad zu demontieren, und die Einzelteile als Preise auszuschreiben, damit mehr „Volksgenossen“ daran teilhaben könnten. Emil Bleeck widersetzte sich dem, in dem er sagte, dass sich niemand den A…. aufreiße für zwei Reifen oder eine Gabel, für ein Rennrad aber schon. Er setzte sich durch und schuf sich dadurch etliche Feinde. 

 

Von 1935 bis 1941 arbeitete Wilhelm Deutrich bei der Todtenhöfer AG. Zunächst bewarb er sich bei der Niederlassung in Berlin, zog aber wenig später für diese Anstellung sogar von Berlin nach Königsberg. Seine Familie konnte er erst ein Jahr später auch nach Königsberg holen. Zunächst arbeitete er als Verkäufer, später übernahm er die Kassen und wurde ab 1938 Abteilungsleiter , bzw Ladenchef. Sein Enkel Thomas Jaekel hat mir hierzu interessante Dokumente seines Großvaters bereitgestellt. So geht aus diesen Dokumenten z.B. hervor, dass Franz Todtenhöfer Mitglied der Freimaurerloge in Königsberg war, und er dem Nationalsozialismus gegenüber kritisch eingestellt war. Auch soll er durch seine Heirat politisch belastet gewesen sein, da diese nicht den damaligen Rassegesetzen entsprach.  Auch das obige Foto vom Stammsitz Steindamm 142 stammt aus seinen Unterlagen. Interessant ist übrigens auch der Monatslohn den er damals als Abteilungsleiter verdient hat: 280 RM . Die damalige Monatsmiete der 2,5 Zimmer Wohnung in Königsberg, in der er mit seiner Familie wohnte, betrug 67,50 RM! 39

Todtenhöfer Emblem
Todtenhöfer Emblem

Kriegsende 1945 und Neuanfang 1946

Bei den schweren Bombardierungen im August 1944 durch britische Bomber wird die Innenstadt Königsbergs komplett zerstört. Auch der Steindamm liegt in Trümmern, vermutlich auch die Zentrale der Todtenhöfer A.G. Wie Heinz Bleeck berichtet, wurden nun bis zum dreitägigen Sturm der Roten Armee auf Königsberg im April 1945 im Werk am Friedländer Tor Fahrräder für Partei, Volkssturm und Wehrmacht montiert, aus einer zusammengewürfelten Mannschaft von vier Deutschen (darunter Heinz Bleecks Vater), jeweils einem Polen und einem Weißrussen und 56 Franzosen (Zwangsarbeiter, bzw. Kriegsgefangene).

 

Trotzdem blieb auch Franz Todtenhöfer und seinen Firmen das Schicksal Königsbergs und ganz Ostpreußens nicht erspart. Über die genauen Umstände des Kriegsendes bei Todtenhöfer ist nichts bekannt, auch darüber, wie er die Besetzung Königsbergs und die nachfolgende Vertreibung und Flucht aus Königsberg überlebte, ist nichts überliefert. 1946 jedenfalls taucht sein Name nun in West-Berlin auf. Trotz seines inzwischen betagten Alters von 70 Jahren lässt er sich nicht unterkriegen und startet in Berlin-Lichterfelde Ost und in Weißenfels (in der SBZ) einen Neuanfang. In Berlin (Schillerstrasse 14) wird ein Geschäft und eine Fabrik zur Herstellung von Fahrradteilen angemeldet. In Weißenfels, Feldstraße 13, wird ebenfalls eine Verkaufsfiliale eröffnet. 34  Laut Papperitz soll die Fahrradfertigung 1945 kriegsbedingt nach Berlin-Lichterfelde umgezogen sein. 

Aus einem mir vorliegenden Schreiben Franz Todtenhöfers aus dem Jahre 1946 an einen Gläubiger der Todtenhöfer A.G. aus Westfalen geht noch die vage Hoffnung hervor, dass sein Vermögen aus Königsberg nach einem Friedensschluss wieder zur Verfügung steht, jedoch bezeichnet er die Möglichkeit selbst schon als eher unwahrscheinlich. Hier gibt es aber wieder wertvolle Informationen von Herrn Bleeck, der davon berichtet, wie Franz Todtenhöfer in Berlin wieder ganz von vorne anfing. So ließ er z.B. aus Gasmaskenschläuchen Lenkergriffe machen und aus dem Leder von Pistolentaschen Lederutensilien fürs Fahrrad. 

 

Nach dem Krieg scheint Franz Todtenhöfer zwischen den beiden Niederlassungen in Berlin und Weissenfels zu pendeln. Im Adressburch der Stadt von 1947/48 ist er in der  Merseburgerstrasse 26a gemeldet. Für das Geschäft in Weissenfels wird nun die Schillerstrasse 19 genannt. Vermutlich ist das Geschäft von der noch 1946 gemeldeten Feldstrasse 13 in die benachbarte Schillerstrasse umgezogen.  38

Als Vertreter für den Westteil Berlins setzte er den treuen Paul Altenberg ein, der 1948 aus dem nun russischen Ostpreußen nach Berlin kam. Paul Altenberg war noch bis ins hohe Alter im Berliner Radsportverband aktiv (bis 1989) und u.a. auch Vorsitzender des Radsportvereins Lichterfelde-Steglitz (1977-1978). Noch 1989 bekam er eine Ehrenurkunde der Stadt Berlin, weil er 1988 im Alter von 84 Jahren noch 8229 km (!) auf West-Berliner Radwegen mit seinem Motobecane-Rad absolvierte! 35  

Zum 75. Geburtstag von Franz Todtenhöfer am 13.August 1950 wurde in der Zeitschrift Radmarkt ein Artikel über ihn veröffentlicht. Hier findet sich auch das lange Zeit einzige bekannte Bild von Franz Todtenhöfer. Laut diesem Artikel gab es sogar Pläne, die Montage eines „leichtlaufenden Niederflurrades“ zu beginnen! Ob diese Pläne jemals realisiert wurden und wie der weitere Werdegang der „neuen“ Firma Todtenhöfer war, liegt leider noch im Dunkel der Geschichte. Bekannt ist nur, dass ein unehelicher Enkel von Franz und Charlotte Todtenhöfer ein gewisser Heinz Riedel Lehmann war. Er blieb nach 1945 zunächst in Königsberg als Kleinkind und machte dort heute Unvorstellbares in den Nachkriegsjahren mit. Wie durch ein Wunder gelangte er aber in ein Waisenheim in Sachsen, von wo aus er 1954 dann schließlich zu seinen Großeltern nach West-Berlin kam. Er machte später Karriere als Verlagskauf­mann beim TAGESSPIEGEL. Später war er erfolgreicher Berater in Politik und Wirtschaft. Noch 2005 gab er in einem Internet Forum für traumatisierte Kriegskinder einen Suchaufruf nach seinen Wurzeln in Königsberg auf.36 Er starb 2008. Einen Nachruf auf ihn, mit einer bewegenden Biographie kann man im Internet nachlesen.37

Franz Todtenhöfer (75) mit seinem geliebten Hochrad.
Franz Todtenhöfer (75) mit seinem geliebten Hochrad.

Von 1946 bis 1951 wird die Firma Todtenhöfer im Berliner Branchenbuch als Fahrrad Fabrik geführt. Im Jahr 1950 wird sogar genauer spezifiziert: "Fahrräder, Fahrrad-Zubehör, Bereifung, Fahrrad-Sattelfabrikation" Für 1952 und 1953 wird die Firma nur  noch als Großhandel für Fahrradteile und Zubehör geführt.

Am 22. März 1955 schließlich stirbt Franz Todtenhöfer in Berlin nach einem langen und erfolgreichen Geschäftsleben. Im Ostpreussenblatt vom April 1955 erscheint folgender Nachruf seiner Landsleute:

Franz Todtenhöfer

Am 22. März 1955 verstarb in Berlin der weit über Ostpreußen hinaus bekannte Kaufmann und Fabrikant Franz Todtenhöfer aus Königsberg. Sein Fahrrad-, Nähmaschinen- und Automobilgeschäft auf dem Steindamm 142/143 war das größte seiner Art nach dem von Winter/Berlin. Unter anderem hatte er die Generalvertretung der Opel-Werke für Ost- und Westpreußen, für Danzig und für das Baltikum inne. In der Fuchsberger Allee besaß er eine große Automobil-Werkstatt, und Ende der zwanziger Jahre erbaute er eine der ersten Hochgaragen Deutschlands in Königsberg. Nach der Vertreibung und in einem Alter, in dem die meisten sich von ihrer Arbeit ausruhen, baute er in Berlin wieder eine Fabrik für Fahrrad­zubehörteile auf. Franz Todtenhöfer war ein großzügig denkender Arbeitgeber, seine Angestellten brachten ihm die größte Verehrung entgegen. Er verlangte wohl viel, beteiligte sie aber an seinem Gewinn. Er ebnete jedem den Weg, dem sich größere Erfolgschancen boten. Viele seiner einstigen Angestellten wurden selbständig oder sie bekleiden heute verantwortungsvolle Stellungen in der Industrie, im Handel und bei Banken. In der Stille tat er viel Gutes, machte es aber zur Bedingung, dass hierüber nicht gesprochen werden durfte; jeder Dankesbezeugung ging er aus dem Wege. Seinen Erfolgsweg begann Franz Todtenhöfer mit sehr geringen Mitteln; als einer der ersten führte er das Fahrrad, damals das Hochrad, in Ostpreußen ein, auf dem er viele Rennen gewann. Er förderte den Fahrradsport sehr. Man sah ihn häufig auf dem Fahrrad in den Straßen Königsbergs, obwohl ihm Autos zur Genüge zur Verfügung standen. 1921 gründete er den Verein für Fahrradwege, dem die Anlage der schönen Radfahrwege in Ostpreußen zu danken war. Nicht nur seine Angestellten und Sportfreunde, auch zahlreiche Landsleute sonst, werden seiner in Trauer gedenken.

 Auch Heinz Bleeck kann das bestätigen. Er erinnert sich, dass Franz Todtenhöfer seinem Vater sein altes Radio schenkte, mit dem man in der damaligen Zeit alle europäischen Sender empfangen konnte! (Was zu jener Zeit ja verboten war!)  Seine Frau, Charlotte Todtenhöfer wird noch bis 1987 im Berliner Telefonbuch in der Schillerstrasse 14 geführt.

Die Informationen wurden von mir über das Internet, sowie das Sammeln von zeitgenössischen Fahrrädern und Zubehörteilen, sowie Dokumenten der Todtenhöfer A.G. zusammengetragen. Besonders bedanken möchte ich mich aber bei Herrn Heinz Bleeck, der mir wertvolle und interessante Einblicke in den Königsberger Radsport aber auch wertvolle Informationen zur Todtenhöfer A.G. geben konnte! Ohne Ihn wären viele Details und Erinnerungen wohl im Dunkel der Geschichte verschwunden. Hiermit konnte wenigstens ein kleiner Lichtstrahl in die Geschichte des Radsports in diesem verschwundenen Teil Deutschlands gebracht werden. Vielen Dank auch an Theo Zollmann, der Enkel von Walter Todtenhöfer, der mir einige Einblicke in die Familiengeschichte gab.  Dank gebührt auch Annelie Kleint für die Informationen aus den Königsberger Adressbüchern und Florian Freund für die Informationen aus dem RADMARKT, sowie an Gerhard Eggers für seine Nachforschungen in Weissenfels.

Trotzdem werden immer noch weitere Informationen benötigt. So sind mir z.B. noch keine Kataloge oder sonstige Verkaufs- und Werbematerialien begegnet. Wer noch weitere Informationen dazu hat, kann sich gerne mit mir in Verbindung setzen, ich würde mich sehr darüber freuen. Kontaktadresse: a.krinke@gmx.de

 

Anmerkungen

1 Quelle: http://list.genealogy.net/mm/archiv/ow-preussen-l/2007-07/msg00438.html

2 Artikel im Radmarkt Nr.9, Jg. 1950

3 aus: http://www.rad-net.de/modules.php?name=html&f=bdr/statistik.htm und http://www.hochrad.info/hochradseite/hochradbasic/hochrad%20allerlei%20bundestag%20hannover.htm

4Königsberger Adressbuch von 1901

5Ostpreussenblatt Nr.29 vom 21.07.1956

6Ostpreussenblatt Nr.17 vom 23.04.1955

7Königsberger Adressbuch von 1906

8Automobil Rundschau Bd. 2, Jg. 1903

9 Deutscher Motorradfahrer Nr. 16 vom 11. August 1904, S. 278

10Allgemeine Automobil-Zeitung Bd. 15, Teile 3 - 4

11 Königsberger Adressbuch von 1906

12 ADAC Motorwelt Jg. 1914

13 Der Motorwagen Bd. 18, S. 15, Jg. 1915

14 Automobiltechnische Zeitschrift - Bände 18 - 20, S. 477

15 Automobiltechnische Zeitschrift, Band 24, S. 275

16 ebda., S. 683

17 Fischerei-Zeitung Bd. 32, Jg. 1929

18 Peter Wilhelm, Alte Nähmaschinen; Duderstadt 2002

19 http://www.welt-der-alten-radios.de/geschichte-batteriehersteller-86.html

20 Automobil-Rundschau Bd. 29, Jg. 1929

21 siehe Anzeige von 1934 in „Bilder aus Ostpreußen III, Reg.-Bez. Königsberg“

22 Radmarkt Nr. 9, Jg. 1950

23 ADAC Motorwelt Nr. 36 vom 9. September 1927, S. 18

24 ADAC Motorwelt Nr. 20 vom 16. Mai 1930, S. 13

25 Radmarkt Nr. 9, Jg. 1950

26 siehe Anmeldung der Marke von 1933, Dank an Chris vom Forum altesrad.net

27 siehe Rechnung von 1942

28 Patent-, Muster- und Marken-Schutz in der Motoren- und Fahrzeug-Industrie, Berlin 1908, S.223

29 Radmarkt Nr. 9, Jg. 1950

30 Königsberg Pr. und seine Vororte, Willi Freimann; Rendsburg 1988, S.227

31 http://yvng.yadvashem.org/index.html?language=en&s_lastName=Gillis&s_firstName=Paul&s_place

32 Radmarkt Nr. 9, Jg. 1950

33 Ostpreussenblatt Nr.17 vom 23.04.1955

34 Amtliches Fernsprechbuch für Berlin: Branchen-Fernsprechbuch 1951 u. 1952, sowie Schreiben von Todtenhöfer an Gläubiger, datiert 1946

35 Ostpreussenblatt Folge 25, 24.07.1989, S.16

36 https://archive.is/xnkGg

37 http://www.tagesspiegel.de/berlin/nachrufe/heinz-riedel-lehmann-geb-1941/1177040.html

38 Vielen Dank an Gerhard Eggers für seine Nachforschungen in Weissenfels

39 Vielen Dank an Thomas Jaekel für die Dokumente seines Großvaters Wilhelm Deutrich als Abteilungsleiter bei der Todtenhöfer AG

40 Vielen Dank an Romanas Senapėdis aus Litauen für diese Information

41 Patent Liste 1925, Seite 351 : https://www.google.de/books/edition/Patent_Liste/Y7IuKMf4wUEC?hl=en&gbpv=0

42 Gumm-Zeitung und Kautschuk Vol. 35 von 1921: https://www.google.de/books/edition/Gummi_Zeitung_und_Kautschuk/_uc1AQAAMAAJ?hl=en&gbpv=0&bsq=Todtenh%C3%B6fer%20K%C3%B6nigsberg

43 Allgemeine Automobilzeitung Vol. 20 1919 https://books.google.de/books?id=e2AfAQAAMAAJ&q=Todtenh%C3%B6fer+Vulkaniseur&dq=Todtenh%C3%B6fer+Vulkaniseur&hl=en&newbks=1&newbks_redir=1&printsec=frontcover&sa=X&ved=2ahUKEwjwh8DCmPz_AhVJzKQKHaXkCbwQ6AF6BAgJEAI

44 Die Gummi Bereifung Vol 19-20, https://www.google.de/books/edition/Die_Gummi_Bereifung/HljQZykBg7AC?hl=en&gbpv=0&bsq=Todtenh%C3%B6fer%20K%C3%B6nigsberg%20Gummi

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letzte Aktualisierung: 29.01.2024